Vor 21 Jahren tobte in der Schweiz eine Staatskrise um die Erben nachrichtenloser Vermögen. Mittendrin machte Wachmann Christoph Meili seinen spektakulären Fund. Wie geht es den Protagonisten der Affäre heute? Ein Dok-Film hat alle aufgespürt – wir zeigen exklusiv erste Auszüge.
Gila Blau und Interaktiv-Team
Der 8. Januar 1997 war für Christoph Meili ein Arbeitstag wie jeder andere. Der 29-jährige gelernte Computer-Verkäufer begann im Auftrag der Sicherheitsfirma, bei der er angestellt war, seine abendlichen Runden im Hauptsitz der Grossbank UBS an der Zürcher Bahnhofstrasse. Zu jenem Zeitpunkt hiess sie noch Schweizerische Bankgesellschaft (SBG). Die Fusion mit dem Schweizerischen Bankverein zur Union Bank of Switzerland (UBS) kam erst genau 11 Monate später, am 8. Dezember 1997, zustande.
Licht am falschen Ort
Die Kontrollrunden durch die Wachleute waren vorgeschrieben. Doch Meili sah an jenem Abend im Keller Licht im Schredder-Raum, wo keines sein sollte, und er ging hin, um es auszuknipsen.
Beim Schredder und in Containern sah der Wachmann zu seiner Überraschung altmodische Bücher, breite, längliche Konto-Kladden, wie sie früher gebräuchlich waren, um handschriftlich die Geschäftsvorgänge zu notieren ... Herausgelöste Seiten von einigen Büchern lagen noch neben dem Reisswolf. Neugierig geworden, schaute Meili die länglichen Seiten an und fand darauf Daten der Eidgenössischen Bank Eiba aus den Dreissigerjahren, lauter Immobilien-Deals, meist aus Berlin.
Der Wachmann wurde stutzig. Er wusste, dass es seit einigen Wochen einen Bundesbeschluss gab, der das Wegwerfen von Dokumenten aus den Dreissiger- und Vierzigerjahren verbot. Meili empfand ein moralisches Problem. Kurzentschlossen packte er die paar noch neben dem Reisswolf liegenden Bände und losen Seiten ein und nahm sie bei Dienstschluss mit nach Hause.
Zuvor suchte Meili noch die (kürzlich verstorbene) Gertrud Erismann auf, die einflussreiche Sprecherin der Bank, die wie immer Überstunden schob. Er fragte sie, was wäre, wenn die Bank Dokumente aus der NS-Zeit hätte? Und ob man sie dann nicht publik machen sollte? Erismann wimmelte ihn ab. Ums Himmels willen, Herr Meili, sagte sie, das wäre ganz verkehrt. Die Presse würde über uns herfallen!
Der Whistleblower
Daheim in Rütihof schliefen die beiden kleinen Kinder schon längst. Zusammen mit seiner damaligen Ehefrau Giuseppina schaute Meili seinen Fund genauer an. «Eigentlich sollten wir das alles fotokopieren», fand das Ehepaar. Doch in der Haushaltskasse gab es nicht genug Geld für einen Besuch in einem Kopiershop.
So überlegte Christoph Meili, wem er die geretteten Bücher anvertrauen sollte. Der tiefgläubige Christ fand, dass sein Fund in jüdische Hände gehörte. Er rief die Israelische Botschaft in Bern an, wo er vernahm, er könne die Unterlagen per Post schicken. Das Porto oder eine Fahrt nach Bern schien ihm zu teuer. Im Telefonbuch von Zürich suchte er das Stichwort «Israelitisch». Zuoberst fand sich die Israelitische Cultusgemeinde Zürich (ICZ), die er anrief. Man sagte ihm, er könne die Papiere gern vorbeibringen. Dies tat Meili denn auch umgehend.
Aus Dok-FIlm «Affäre Meili – Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden», www.meili-story.ch
Christoph Meili wollte mit seiner Entdeckung an die Öffentlichkeit, mit vollem Namen. Es wurde ihm die Journalistin Gila Blau empfohlen, die Autorin dieses Berichtes, die damals bereits regelmässig über die Kontroversen rund um das Thema der nachrichtenlosen Vermögen berichtete.
Am Sonntag besuchte die Schreibende den Whistleblower und seine Familie in ihrem kleinen Reiheneinfamilienhaus. Da sie bereits ahnte, was sich entwickeln würde, sobald ihre Geschichte erschienen war, brachte sie einen kurzen Vertrag mit. Darin war festgehalten, dass die Meilis für das Interview kein Honorar erhalten hätten. Die Journalistin fotografierte die Familie für ihre Reportage in der Wochenzeitung «Jüdische Rundschau» (heute: «Tachles»).
Zwei Folianten und eine Foto-Ikone
Am folgenden Montag, die Reportage war bereits an die Redaktion abgeschickt, läutete es bei der Schreibenden. Vor ihrer Tür stand Christoph Meili, in der Hand einen Papiersack der Migros. Er zog zwei schwere Folianten heraus und sagte, auch diese Bücher habe er vor dem Schredder retten können: «Ich fand es schade, sie vernichten zu lassen.» Meili hatte die beiden zusätzlichen Bände in seinem Spind zwischengelagert. Weil er richtig vermutete, dass die Geschichte bald öffentlich würde und er keinen Zugang mehr zur Bank haben würde, brachte er die beiden Bände nach Dienstschluss zur Journalistin, zu der er offenbar Vertrauen gefasst hatte. Die Bücher stammten aus dem Ende des 19. Jahrhunderts und enthielten handschriftlich die Kreditvergaben der Eidgenössischen Bank (die nach dem Zweiten Weltkrieg von der SBG übernommen worden war).
Der Schreibenden war bewusst, dass sie einen Beweis brauchte, da es sonst eines Tages heissen würde, Meili habe doch gar nichts gefunden, er behaupte das nur. Diese beiden Bücher, wenn auch nicht aus der relevanten Zeit, waren DER Beweis für seinen Fund. Sie benötigte ein Dokument, eine Foto von Meili mit den Büchern. So stellte sie ihn vor eine weisse Wand in ihrer Wohnung, balancierte mit Mühe die schweren Folianten auf seinen Armen und machte zwei Bilder. In Schwarzweiss, denn der Film vom Vortag befand sich noch in der Kamera. Für einen Filmwechsel war keine Zeit geblieben.
Dieses Foto sollte zur Ikone werden. Es gleiche den Abbildungen von Moses mit den Gesetzestafeln, hiess es einmal sogar. Jedenfalls bedeutet und beweist es die Verbindung von Christoph Meili mit den unerlaubt zur Vernichtung freigegebenen Kontobüchern aus dem Archiv der Eidgenössischen Bank bei der SBG. Bis heute blieb ungeklärt, wieso ein simpler Wachmann Kenntnis vom Bundesbeschluss über das Verbot der Aktenvernichtung aus der NS-Zeit besass, nicht aber der (mittlerweile verstorbene) Chef-Archivar der SBG. Dieser wurde subito suspendiert und auf einen gut bezahlten Job bei einer SBG-Filiale in Luzern abgeschoben.
Anderntags, es war mittlerweile Dienstag, der 14. Januar 1997, geschah Ungewöhnliches: Bezirksanwalt Peter Cosandey, früher selber bei einer Bank tätig, liess der Bankgesellschaft den Vortritt für eine Medienmitteilung: Es habe eine Panne bei Archivbeständen gegeben, hiess es darin lapidar, aber der Fall sei restlos aufgeklärt. Unmittelbar danach folgte eine für die Bank äusserst positiv formulierte Medienmitteilung der Polizei.
Aus Dok-FIlm «Affäre Meili – Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden», www.meili-story.ch
Nun reagierte der Präsident der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich (ICZ), Werner Rom, rasch und richtig: Er lud die Medien für den frühen Nachmittag des gleichen Tages zu einer Pressekonferenz in die ICZ ein. An der ersten Medienkonferenz seines Lebens sass Christoph Meili blutjung und ungelenk auf dem Podium, auf seiner einen Seite der ICZ-Präsident und auf der anderen der Zürcher Rechtsanwalt Marcel Bosonnet, den die ICZ Christoph Meili zur Verfügung stellte. Der Medienaufmarsch war mager, das internationale Echo dagegen gewaltig.
Einige Wochen lang gaben sich die Medienleute aus aller Welt, von der ARD bis «Vanity Fair», im Reiheneinfamilienhaus der Meilis die Klinke in die Hand. Christoph Meili war anwesend und hatte Zeit, denn er hatte postwendend seinen Job verloren. Und es ging nicht lange, da lenkte ihn ein Anruf von seinen Sorgen ab, wie er seine Familie in Zukunft ernähren sollte: Der amerikanische Senator Alfonse D'Amato, Vorsitzender der Bankenkommission des Senats, lud die Familie Meili in die USA ein. Christoph Meili war leider nicht davon abzubringen. So begann seine USA-Karriere.
Druck aus den USA
In den USA waren die Schweiz und ihre Banken schon im Jahr zuvor ins Visier geraten. Angeblich soll alles damit begonnen haben, dass Israel Singer, der allmächtige Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses und rechte Hand seines Präsidenten Edgar Bronfman (der ihn einige Jahre später wegen jahrelanger Veruntreuung entliess), den Kriminal-Thriller «The Swiss Account» las. Nach der Lektüre soll Singer beschlossen haben, die Schweizer Banken müssten alle Vermögenswerte hergeben, die vor dem Krieg jüdische Ausländer bei ihnen in Sicherheit gebracht hatten. Viele der Konto- und Schliessfach-Inhaber waren im Krieg ermordet worden und ihre überlebenden Erben hatten vergeblich versucht, an ihr Geld zu kommen. Berüchtigt war die unsensible Forderung nach Totenscheinen, die in Vernichtungslagern nicht ausgestellt wurden. An der Mauer der Banken kam jedoch niemand vorbei. Negativ bekannt wurde SBG-Präsident Robert Studer, der die jüdischen Vermögenswerte als «Peanuts» im Vergleich zur Bilanzsumme abtat. Immer wieder im Lauf der Jahre war nach nachrichtenlosen Vermögen gefragt worden. Aber diesmal erschienen die ersten einschlägigen Zeitungsartikel. Der amerikanische Europa- und Restitutionsbotschafter Stuart Eizenstat fühlte sich alarmiert durch einen Bericht im «Wall Street Journal». Lawinenartig wurde in den USA nun Druck auf die Schweiz aufgebaut.
Ratloser Bundesrat
1996 lud die Schweizerische Bankiervereinigung den Jüdischen Weltkongress und jüdische Exponenten der Schweiz nach Bern zum Mittagessen in ein Nobellokal ein. Es wurde zum Desaster, weil Edgar Bronfman nach dem im Stehen eingenommenen Apéro entrüstet erzählte, man habe ihm nicht einmal einen Stuhl angeboten.
Der Bundesrat beachtete die Warnsignale nicht. Nur Botschafter Carlo Jagmetti in Washington erkannte das Wetterleuchten und organisierte schon früh ein Treffen zwischen Botschaftsangehörigen, Senator Alfonse D'Amato und Bankenanwälten in New York. Die Bundesräte unterschätzten den sich zusammenbrauenden Sturm. Und sie wussten, so schien es, herzlich wenig über die noch nicht so lange zurückliegende Geschichte ihres Landes im Zweiten Weltkrieg. Bundesrätin Ruth Dreifuss war es, die ihren Kollegen einiges erklären konnte. Aber als Innenministerin führte sie das Dossier nicht; es gehörte dem Aussenministerium, weil die Musik in den USA spielte.
Aus Dok-FIlm «Affäre Meili – Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden», www.meili-story.ch
Der Aussenminister, Bundesrat Flavio Cotti, reagierte spät. Aber dann bestellte er plötzlich seinen stellvertretenden Generalsekretär, den jungen Diplomaten Thomas Borer, zum Chef einer Taskforce Schweiz - Zweiter Weltkrieg.
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Das Jahr 1996 endete mit einem weiteren Paukenschlag: Bundespräsident Jean-Pascal Delamuraz gab einer Zeitung der Romandie ein Interview zum Ende seines Präsidialjahres. Der dem Weisswein nicht abgeneigte Waadtländer FDP-Magistrat sprach darin von einer Erpressung der Schweiz und machte die gar nicht magistrale Aussage, man könnte meinen, Auschwitz liege in der Schweiz. Die Wogen der Empörung schlugen hoch. Delamuraz entschuldigte sich nicht, nur bei jenen, die er möglicherweise verletzt habe.
Das Wort Erpressung geisterte in der Folge noch stark durch gewisse Kreise im Land. Am lautesten sprach Christoph Blocher darüber, der damalige SVP-Nationalrat und spätere Bundesrat, bis vor kurzem Chefstratege seiner Partei, die er zur stärksten der Schweiz gemacht hatte.
Aus Dok-FIlm «Affäre Meili – Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden», www.meili-story.ch
Blocher sprach einen Rohrkrepierer an: Die ungeschickt durch Bundespräsident Arnold Koller dem Parlament verkündete Idee einer Solidaritätsstiftung zugunsten von allerlei Benachteiligten, auch Holocaust-Überlebenden, die durch den Verkauf überflüssiger Goldreserven der Nationalbank finanziert werden sollte. Das Projekt kam nie zustande.
Die Taskforce unter Thomas Borers tatkräftiger Leitung hingegen nahm bald Formen an und stärkte das Verteidigungsdispositiv der Schweiz. Borer war und ist ein genialer Verkäufer, der aus seiner Zeit als Jungdiplomat auf der Schweizer Botschaft in Washington die amerikanischen Gedankengänge und Sitten bestens kannte.
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1997 wurde zum «annus horribilis» für die Schweiz, in dem das so lange latente Thema zu einer veritablen Staatskrise führte. Das Land war gespalten. Die Aktivdienst-Generation war beleidigt und wütend. Noch 1989 hatte die Armee ihre Veteranen zu Jubiläumsfeiern des Kriegsbeginns (!) eingeladen, was das Land weiter polarisiert hatte. Der sogenannte Eizenstat-Bericht wies nach, dass die neutrale Schweiz Nazi-Deutschland auf vielen Gebieten behilflich und nützlich gewesen war. Die Nationalbank hatte das in den besetzten Ländern geraubte Gold der Staatsbanken für Nazi-Deutschland willig in existenziell wichtige Devisen umgewandelt. Sogar Zahngold aus den Vernichtungslagern war übernommen worden. Es gab, erinnerlich, einen einzigen Leserbrief, in dem ein älterer Herr aus der Aktivdienst-Generation schrieb, er frage sich heute, für wen und was er damals an der Grenze gestanden sei.
Historiker und Gegen-Historiker
Der Bundesrat blieb, ausser bei der Gründung der Taskforce, stumm. Dafür handelte das Parlament. Einstimmig beschloss es, eine Unabhängige Experten-Kommission (UEK) Schweiz - Zweiter Weltkrieg zu gründen, die aus renommierten in- und ausländischen Historikern und ihren Doktoranden als Recherche-Personal bestand. Die Leitung erhielt der Waadtländer Jean-François Bergier, Professor an der ETH Zürich, ein Mittelalter-Forscher, der der Kommission auch seinen Namen gab. Ausserdem wurde unter Leitung des früheren Nationalbankchefs der USA, Paul Volcker, ein Bankenausschuss gegründet, dem auch jüdische Exponenten angehörten. Dieser Untersuchungsausschuss durchleuchtete in der aufwendigsten Bankenrevision aller Zeiten forensisch die Archive der Schweizer Banken nach versteckten nachrichtenlosen Vermögenswerten. Die Kosten in der Höhe von 200 Millionen Franken hatten die betroffenen Banken zu tragen. Die Bergier-Kommission dagegen wurde durch den Bund finanziert.
Die Mitglieder der Bergier-Kommission und ihre Mitarbeitenden bekamen das Privileg des unbeschränkten Archivzugangs, was noch nie vorgekommen war. Mit ungeheurem Aufwand und unter einigem Zeitdruck wurden ein Dutzend Studien und ein Schlussbericht innerhalb von fünf Jahren erstellt. Die Rezeption des Bergier-Berichts jedoch war sehr kühl. Nicht einmal der Bundesrat äusserte sich positiv, obwohl Bundesrätin Ruth Dreifuss ihr Kollegium an der Schlusspräsentation im Bundeshaus vertrat und eine kurze Stellungnahme abgab. Unter der Hand wurde später bekannt, dass Dreifuss in all den Jahren ihre schützende Hand über die Kommission gehalten hatte, die von vielen Seiten angegriffen wurde. Vor allem durch Christoph Blocher und seine SVP. Blocher fand, es sei ja schon alles bekannt über die Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, eine Kommission sei gar nie nötig gewesen.
Namhafte Historiker und Politiker gründeten eine Gegen-Kommission («Aktion Gelebte Geschichte»), andere Historiker waren beleidigt, dass sie nicht ins Gremium berufen worden waren, und bemühten sich, Recherchen zu publizieren, welche die Schweiz der Kriegsjahre in besserem Lichte darstellen sollten. Aber die Bergier-Kommission und ihre Erkenntnisse bildeten für die gebeutelte Schweiz, die allgemein unter dem Versagen ihrer unsensiblen Banken leiden musste, eine Visitenkarte im Ausland, die nicht zuletzt auch die Taskforce gut brauchen konnte.
Die Stimme des Diplomaten
Stuart Eizenstat diente als Spitzenbeamter mehreren demokratischen Präsidenten der Vereinigten Staaten, angefangen bei Jimmy Carter, über dessen Präsidentschaft er dieses Jahr ein Buch veröffentlichte. 1997 war er unter Bill Clinton US-Botschafter bei der EU und zudem beauftragt, enteignetes oder geraubtes jüdisches Eigentum in Osteuropa wiederzubeschaffen. In dieser Funktion kümmerte er sich auch um die Problematik der nachrichtenlosen Vermögen auf Schweizer Banken. Der Diplomat konnte nicht verstehen, dass er nicht wie gewohnt mit einer Regierung zu verhandeln hatte. Er empfand es zunehmend als Problem, dass sich der Bundesrat stur ausklinkte. Im Mai 1997 erschien sein Bericht zum Goldhandel der Nazis mit den neutralen Staaten. Im Vorwort des Berichts, in dessen Mittelpunkt der Bankenplatz Schweiz als wichtigster Abnehmer von Nazi-Gold stand, warf Eizenstat der Schweiz implizit und explizit vor, sie habe durch ihre Kollaboration mit Nazi-Deutschland den Krieg erheblich verlängert. Die Schweizer Öffentlichkeit reagierte empört auf diesen Vorwurf. Antisemitismus machte sich breit. Auch die Bergier-Kommission bestätigte den pauschalen Kriegsverlängerungsvorwurf nicht. Eizenstat selbst entschuldigt sich heute dafür.
Aus Dok-FIlm «Affäre Meili – Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden», www.meili-story.ch
In die aufgeladene Stimmung des Eizenstat-Berichts platzte als Eskalation die Meili-Affäre und goss weiter Öl ins Feuer. So sieht es auch Eizenstat.
Aus Dok-FIlm «Affäre Meili – Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden», www.meili-story.ch
Es erschienen bald auch verschiedene andere Publikationen zum Thema, nicht zuletzt eine von Jean Ziegler. Ihre Titel drehten sich immer um «Die Schweiz, das Gold und die Juden». Auch in der Schweiz gab es eine Menge Zeitungsartikel und Talkshows. In einer «Arena»-Sendung des Schweizer Fernsehens behauptete der Chef der Bankgesellschaft, Robert Studer, er wisse, dass Meili nicht allein aus ethischen Motiven gehandelt habe. Damit unterstützte er die bösartige Unterstellung, dass Christoph Meili «von den Juden» Geld erhalten hatte, um seine Tat zu vollbringen, ohne diese Absurdität je belegen zu können.
Die Schweizer Banken standen mittlerweile in den USA schwer unter Druck. Verschiedene Bundesstaaten drohten mit dem Entzug der Lizenz für die USA-Filialen. Das Thema der vorenthaltenen nachrichtenlosen Vermögenswerte und die Meili-Affäre veranlassten die neue Bankengeneration nie zu einer Entschuldigung für frühere Versäumnisse. Das war, wie später Alex Krauer, Interims-Präsident der UBS, in einer «Arena» sagte, lediglich «ein Management-Problem». Keine Spur von moralischer Verantwortung.
In den USA veranstaltete der republikanische Senator Alfonse D'Amato aus New York Hearings vor seiner Bankenkommission des Senats. Er lud allerlei Exponenten vor, auch den Zürcher Bankier Hans Bär, die Überlebende Greta Beer, die bei Schweizer Banken vergeblich die Konten ihres Vaters gesucht hatte, den Jüdischen Weltkongress sowie auch Taskforce-Chef Thomas Borer. In der Schweiz gab es böse Zungen, die behaupteten, D'Amato mache dies nicht aus moralischer Überzeugung, sondern um die jüdischen Stimmen in New York für seine Wiederwahl zu gewinnen (die ihm dann aber misslang). Er verneint diese Motivation bis heute.
Aus Dok-FIlm «Affäre Meili – Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden», www.meili-story.ch
An ein Hearing der konkurrierenden Bankenkommission des Repräsentantenhauses unter James Leach wurde auf Initiative der Schreibenden auch der damalige Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, der Berner Unternehmer Rolf Bloch, eingeladen. Bloch, der auch in der Volcker-Kommission stets die Wogen glättete, prägte im Hearing den vielzitierten Satz: «Gerechtigkeit für die Juden und Fairness für die Schweiz.» Bloch wurde später auch Präsident des Schweizerischen Fonds für Überlebende von Holocaust und Schoa, gespeist durch je 100 Millionen Franken der Grossbanken und der Nationalbank. Bloch bestand darauf, dass alle Kategorien von Verfolgten – auch nichtjüdische – eine Geldsumme erhalten sollten. Er bewältigte diese Titanen-Aufgabe mit dem Bonmot: «Ich habe nicht gewusst, dass es so schwer sein könnte, Geld auszugeben.»
Als Held verehrt, als Köder missbraucht
In der Zwischenzeit hatte für Christoph Meili in der Schweiz der Wind gedreht. Aus einem Whistleblower mit Zivilcourage war innert weniger Wochen ein Nestbeschmutzer geworden. Meili wurde beschimpft und bedroht. Einen neuen Job bekam er nicht. So entschied er sich Ende 1997, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Trotz aller Warnungen, er werde dort nur ausgenützt und dann fallen gelassen. Im Ausland war er nun ein Held, eine Lichtgestalt. Es gab Einladungen nach Israel, und in den USA trat er an Versammlungen von jüdischen Organisationen auf und diente zugleich als Lockvogel für Spenden. In Kalifornien bekam er ein Stipendium für ein Studium an der Chapman University und ein Haus zur Verfügung gestellt, für das er allerdings Miete zahlen musste. Vom vielen Geld, das er für andere generierte, sah er wenig bis nichts.
Verhandlungen und ein Vergleich
Als die Verhandlungen zu einem aussergerichtlichen Vergleich zwischen den jüdischen Sammelklägern und den Schweizer Banken begannen, wurde Christoph Meili eine Million Dollar versprochen. Die Klagen waren beim New Yorker Bezirksrichter Edward Korman deponiert worden. Als die Verhandlungen zu scheitern drohten, zitierte Jugde Korman alle Kontrahenten am 11. August 1998 in ein mittlerweile geschlossenes Restaurant in Brooklyn und zimmerte im letzten Moment einen Vergleich über 1,25 Milliarden Dollar. In diesem wurde per Saldo aller Ansprüche vereinbart, dass nicht nur die Banken, sondern auch die Schweizer Industrie und die Eidgenossenschaft für alle Zeiten aus dem Schneider waren. Diesen sogenannt «globalen Vergleich» verkündete niemand anderer als Alfonse D'Amato medienwirksam auf offener Strasse, neben sich das Ehepaar Meili und Israel Singer vom Jüdischen Weltkongress.
Zurück in die Schweiz
Christoph Meili durchlebte in den USA nach vielen Hochs noch mehr Tiefs: Seine Ehe zerbrach, er verlor Frau und Kinder. Nach Abzug von Anwaltskosten und Scheidung blieben ihm von der versprochenen Million noch 265’000 Dollar. Er jobbte, auch als Wachmann. Danach ging er zur Armee, denn schliesslich besass er das amerikanische Bürgerrecht. Er heiratete eine Frau mit koreanischen Wurzeln, hatte mit ihr einen Sohn, doch auch diese Ehe scheiterte.
Nach 12 Jahren in den USA kam Christoph Meili 2009 allein und mittellos in die Schweiz zurück. Nach vielen Schwierigkeiten scheint er heute seinen Frieden gefunden zu haben. Nicht zuletzt dank seiner dritten Gattin Nadja, die der noch immer tiefgläubige evangelikale Christ in einer Freikirche kennen lernte. Eine feste Anstellung konnte Meili allerdings bis heute nirgends bekommen. Im April 2018 wurde er 50 Jahre alt und hat die Vergangenheit recht gut loslassen können, auch wenn diese ihn nicht restlos loslässt. Immer noch wird er, wird sein Name erkannt, aber meist sind die Reaktionen sehr positiv.
Der frühere Wachmann würde alles nochmals so machen, wenn auch ganz leicht anders. Meili denkt, dass er nicht in die USA hätte auswandern sollen, obwohl seine Kinder dort unbelastet zur Schule gehen konnten. Er pflegt mit seinen inzwischen erwachsenen Sprösslingen mittlerweile wieder einen guten Kontakt. Insgesamt bereue er aber gar nichts. Er tat das Richtige, denkt er, und was daraus wurde, konnte er nicht allein beeinflussen.
Aus Dok-FIlm «Affäre Meili – Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden», www.meili-story.ch
Die Autorin
Journalistin Gila Blau beschäftigte sich in ihren Recherchen intensiv mit der Thematik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Die Israelitische Cultusgemeinde Zürich vermittelte ihr deshalb im Januar 1997 den Kontakt zu Whistleblower Christoph Meili, der mit seinem brisanten Aktenfund an die Öffentlichkeit wollte. Danach schrieb sie erst für die «Jüdische Rundschau» eine Reportage über Meili und später auch für andere Publikationen. Sie steht Meili seit mehr als 20 Jahren kritisch, aber freundschaftlich als eine Art private Medienberaterin zur Seite. Ihr persönliches Archiv über den Fall Christoph Meili und die gesamte Staatskrise der späten Neunzigerjahre umfasst mehrere Laufmeter an Akten und Artikeln. Sie überliess ihre Dokumentation vor ein paar Jahren für Forschungszwecke dem Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich.