Was dich nicht umbringt, macht dich stark, heisst es. Lernt man Anny Schmid kennen, wirkt es, als hätte das Leben immer wieder prüfen wollen, wie stark diese Frau ist. Und wie stark sie werden kann.
Als Anny Schmid sechs Jahre alt war, verlor sie ihre rechte Hand. Ein Unfall in der Bäckerei ihres Vaters. Sie griff in eine grosse Häckselmaschine, wollte einen Birnstiel rauszupfen. Hätte der Vater nicht so schnell die Maschine abgestellt, wäre der Armstumpf bestimmt über dem Ellbogen, sagt sie.
Mit 13 erlag ihre Mutter einem Darmleiden, innert einer Woche war sie tot. Ein halbes Jahr später erkrankte ihr Vater an einer Hirnhautentzündung. Nur ein Wunder könne ihn retten, sagten die Ärzte. Das Wunder kam in Form eines neuen Medikaments aus den USA. Er überlebte, doch das Medikament zerstörte Teile des Nervensystems. Ihr Vater, ein angesehener Mann – «er war der Gründer von so vielen Vereinen und kleidete zig Ämter hier in Wangen, Schwyz» – verlor das Augenlicht.
Drei Monate nach seiner Erblindung heiratete er wieder. Mit seiner zweiten Frau bekam er weitere drei Töchter. «Insgesamt waren wir 6 Kinder», erzählt Anny Schmid, während sie uns zügig durch das «Höfli» führt. Ihr Vater errichtete das Behindertenheim in Wangen vor über dreissig Jahren. Er habe beweisen wollen, dass man auch als Blinder etwas bewirken könne. Anny Schmid half ihm von Anfang an und übernahm später für zwanzig Jahre die Leitung: «Ich wollte beweisen, dass auch wir Behinderte vollwertige Bürger sind!»
Heute wird das Heim von ihrer Tochter geführt. Anny Schmid wird überall herzlich begrüsst, und als ein Bewohner ausfällig wird – «man spürt, dass morgen Vollmond ist!», erklärt sie sein Verhalten –, tadelt sie ihn. Sie sei wie eine Grossmutter für die 37 Bewohner und zwölf Tagesgäste.
Letztes Jahr hat sie sich die gesunde Hand gebrochen das sei «schaurig mühsam» gewesen. Sie schreibe doch so gerne Dankeskarten, das konnte sie mit der gebrochenen Hand nicht mehr tun. Vor einigen Jahren erlitt sie zudem einen Hörsturz, und als ihre Tochter an Hautkrebs erkrankte, sei sie um Jahre gealtert. Davon spürt man allerdings nichts. Anny Schmids Energie ist beeindruckend. Ihr Kampfgeist ebenfalls.
Für manche Menschen sind Hürden keine Bremsen, sondern Ansporn, überlege ich. Wenn mir Anny Schmid sagt, dass man alles schaffe, wenn man es ganz fest will, glaube ich ihr jedenfalls aufs Wort.