«Jeder Vierte im Alter von 45 hat Erektions­probleme»

3D-Illustration von Spermien. Foto: Christoph Burgstedt/Getty Images
«Mann 2020» heisst das Buch von Urologe Markus Margreiter. Im Gespräch erklärt der Mediziner, wieso Männer heute weniger Testosteron haben und was Tinder mit dem besten Stück anstellt.
Philippe Zweifel und Interaktiv-Team

Ist die Männlichkeit in der Krise? Von weinerlichen «Schmerzensmännern» liest man genauso wie von «toxischen Männern», die dominant auftreten und unfähig sind, über ihre Gefühle zu reden. Das Mannsein, so scheint es, ist fast schon eine Krankheit. Höchste Zeit also, mit einem vom Fach darüber zu reden. Urologe Markus Margreiter hat nach eigenen Angaben jeden Tag einen Penis in der Hand - und weiss auch sonst genau Bescheid, wie es um seine Geschlechtsgenossen bestellt ist.

Herr Margreiter, wie geht es den Männern aus urologischer Sicht?

In der Männergesundheit hat sich in den letzten 20 Jahren sehr viel getan. Es zeichnet sich insbesondere ab, dass jüngere Männer weniger Mühe haben, über Gesundheitsthemen und sexuelle Probleme zu sprechen. Was weniger erfreulich ist: Eine US-Studie hat gezeigt, dass seit dem Aufstieg der Dating-Apps die Raten von sexuell übertragbaren Krankheiten wie Syphilis oder Tripper drastisch angestiegen sind. Auch ist ein deutlicher Anstieg von Erektionsproblemen in den letzten 20 bis 30 Jahren zu verzeichnen. Jeder vierte Mann im Alter von 45 hat in dieser Hinsicht bereits Probleme. Die Hälfte davon schwere bis mittelschwere.

Was heisst das konkret?

Als Erektionsstörung bezeichnet man die anhaltende Unfähigkeit, eine Erektion zu erreichen oder während des Geschlechtsverkehrs aufrechtzuerhalten. Für den Arzt ist das von aussen nicht zu sehen, er kann nur danach fragen und ist auf die Beschreibung des Patienten angewiesen. Doch dieser ist oftmals so geniert, dass er die Sache herunterspielt oder so entsetzt ist, dass er überzeichnet.

Dr. Markus Margreiter ist Facharzt für Urologie und führt ein privates Männergesundheitszentrum in Wien. Zuvor leitete er dort an der Uniklinik die Ambulanz für Andrologie und Erek­tile Dysfunktion. Mit «Mann 2020» bietet er einen spannenden Einblick in den aktuellen Stand der Männermedizin.
Buch: «Mann 2020», 272 S., ca. 22 Fr.

Was sind die Ursachen für die erschlaffenden Männer?

Es kann an der Durchblutung, den Nerven, den Hormonen oder dem Kopf liegen. Natürlich gibt es auch jegliche Kombinationen daraus. Gerade krankheitsfördernde Lebensumstände wie Überernährung, Bewegungsmangel, Stress, Rauchen oder einige Medikamente wirken sich negativ auf die männlichen Sexualfunktionen aus. Psychologische Faktoren spielen insbesondere bei jüngeren Männern eine grosse Rolle. Die Änderung des männlichen Rollenbildes und die Digitalisierung der Sexualität könnten hier einen Einfluss haben.

Was tun bei einer erektilen Dysfunktion?

In den letzten Jahren wurden verschiedene neue Möglichkeiten entwickelt, um dem Mann mit Potenzproblemen zu helfen. Da war einerseits der Siegeszug des Medikaments Viagra, das die Behandlung revolutioniert hat. Jedoch sprechen 30 bis 35 Prozent der Patienten nicht oder nicht ausreichend auf diese Behandlungsform an. Für diese gibt es aber eine Vielzahl an alternativen Möglichkeiten, zum Beispiel Stent-Behandlungen, Schwellkörperimplantate oder Stosswellentherapie.

Stosswellentherapie klingt unheimlich. Wie funktioniert die?

Die Technik kommt ursprünglich aus der Luftfahrt. An Überschallflugzeugen stellte man fest, dass Stosswellen Material zerstören können. In der Medizin nutzte man dies zuerst, um Nierensteine zu zertrümmern. Später wurden sie auch in der Wundheilung eingesetzt. 2010 kam die erste Studie heraus, mit der nachgewiesen wurde, dass niedrig dosierte Stosswellen das Schwellkörpergewebe im Penis regenerieren können.

Sollte man sich nicht zuerst beim Sextherapeuten Hilfe holen?

Eine ganzheitliche Abklärung inklusive sexualtherapeutischer Evaluierung ist natürlich ideal. Sexuelle Störungen können unter anderem Indikatoren für psychische Probleme sein. Es gibt die schöne Metapher des Penis als «Antenne des Herzens», das stimmt im übertragenen Sinn ebenso wie buchstäblich – Erektionsstörungen sind oftmals das erste Anzeichen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das Problem ist, dass viele Männer darüber nicht einmal gegenüber ihrem Hausarzt bereitwillig Auskunft geben und erst recht nicht gern zum Urologen gehen.

Wieso?

Der Urologe gilt bei vielen Männern als Schreckgespenst: weil er mit Prostatakrebs assoziiert wird und wegen der vermeintlich unangenehmen Tastuntersuchung der Prostata. Ich merke das schon, wenn ich mich in einer privaten Runde vorstelle: Sage ich, ich sei Urologe, gucken die Männer verschämt drein. Stelle ich mich als Leiter eines Zentrums für Männergesundheit vor, zeigen sie sich interessiert.

Haben Sie eigentlich jeden Tag einen Penis in der Hand?

Interessante Frage. Ja, das ist Teil meiner urologischen Tätigkeit im OP oder bei Untersuchungen. Obwohl ich das völlig neutral sehe, ist mir bewusst, dass es für viele Männer schambehaftet ist. Umso wichtiger ist ein empathischer Zugang.

Welche Penis-Mythen können Sie bestätigen – und welche widerlegen?

Sie meinen die Nasen-Penis-Korrelation? Da gibt es nur wenige, die wirklich halten. So ist auch die Menge des Ejakulats keine Messlatte für die Potenz, sie hängt von Alter, Prostata und den Samenblasen ab, in denen der Grossteil der Flüssigkeit produziert wird. Was stimmt: je sportlicher einer ist, desto bessere gesundheitliche und urologische Werte hat er. Und auch sexuelle Aktivität wirkt sich positiv auf die Einsatzfähigkeit des besten Stücks aus – «use it or lose it».

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass viele Männer gern einen grösseren Penis hätten.

Das scheint tatsächlich so. Leider werden die Männer oft von falschen Vorstellungen geleitet. Im Gegensatz zur Brustvergrösserung bei der Frau ist beim Mann aus medizinischer Sicht aktuell nicht viel möglich.

Implantate bringen nichts?

Schwellkörperimplantate haben einen wichtigen funktionellen Nutzen bei Männern mit schwersten Erektionsstörungen. Sie tragen somit zur Wiederherstellung oder Verbesserung der sexuellen Leistung bei, jedoch unwesentlich zur Grösse.

Als Urologe ist man sicher auch mit anderen kuriosen Anliegen oder Problemen konfrontiert. Was ist Ihnen da schon vorgekommen?

Nun, ein Patient hatte seinen Penis in eine Cola-Flasche gesteckt und bekam diese nicht mehr runter. Das ist tragischerweise so weit gegangen, dass er einen Teil seines besten Stücks verloren hat.

Auch ein Tabuthema: unfruchtbare Männer.

Statistisch liegt Unfruchtbarkeit bei Paaren in einem Drittel nur bei der Frau, in einem Drittel nur beim Mann. In einem weiteren Drittel liegt es an beiden. Wenn ein Mann wegen Unfruchtbarkeit bei mir landet, kommt die Frau interessanterweise meistens mit. Bei den Gynäkologen sieht man die Partner in solchen Situationen weniger.

Frauen gehen schon als Mädchen zum Frauenarzt. Ab wann sollten Männer dies tun?

Männer sollten ab dem 40. Lebensjahr regelmässig zum Urologen. Ich plädiere dafür schon viel früher, zwischen 20 und 30 mit einem ersten harmlosen Check zu starten. Dabei ist keine Fingeruntersuchung notwendig, man schaut, ob Risikofaktoren vorhanden sind, und bespricht Themen wie Fruchtbarkeit, Sexualität und Geschlechtskrankheiten. Es geht vor allem ums Umdenken: Dass Männergesundheit den gleichen Stellenwert hat wie Frauengesundheit. Dass Männer schon früher lernen, über ihre Probleme zu sprechen – dann ist ein Erektionsverlust oder Ejakulationsproblem später auch keine Katastrophe mehr. Dasselbe gilt für den Prostatakrebs, der im Unterschied zum Mammakarzinom immer noch ein Tabuthema ist – in das interessanterweise auch weniger Forschungsgeld investiert wird.

Für Frauen ist die Menopause ein grosses Thema. Wie blicken die Männer auf die Andropause?

Viele Männer kennen den Begriff gar nicht. Sie spüren den langsamen Abfall des Testosteronspiegels, der in der Regel zwischen 45 und 65 eintritt, oft nur schleichend und viel später. Die Menopause hingegen tritt schneller ein, wenn die Eizellen verbraucht sind, was zu den typischen Menopausen-Beschwerden führt. Einen Testosteronmangel fürchten die Männer aber ebenso. In Zeiten, in denen alles optimiert werden kann, ist der Wunsch nach mehr Testosteron weit verbreitet. Es gibt tatsächlich viele Männer, die zu wenig Testosteron haben. Aber auch solche, die genug haben, aber noch mehr zu sich nehmen. Beides ist nicht gut.

Stimmt es, dass der Testosteronspiegel der Männer über die letzten Jahrzehnte abgenommen hat?

Ja, das konnten Studien belegen. Gerade Faktoren wie Stress oder zu wenig Bewegung scheinen auf die Abnahme des Testosteronspiegels einen grossen Einfluss zu haben.

Wie merkt man, dass ein Testosteronmangel vorliegt?

Sexuelle Lustlosigkeit, Abnahme der Muskelmasse, Schlafbeschwerden und Hitzewallungen sind typische Symptome, die auf einen Testosteronmangel hinweisen können – aber natürlich auch andere, psychische oder physische Ursachen haben können. Auch Antriebslosigkeit, die zu einer depressiven Verstimmung führen kann, ist ein weiteres Symptom. Es gibt nicht nur ein psychisches Burn-out, sondern auch ein hormonelles.

Was tun bei Testosteronmangel?

Weniger Bauchfett und mehr Sport können Wunder bewirken. Wobei zu viel Ausdauersport den Testosteronspiegel eher senkt und Kraftaufbau ihn erhöht. Auch bei den Hormonen ist eine gesunde Lebensführung die beste Medizin. Testosteron-Gels oder -Injektionen sollte man nur vom Arzt verschrieben anwenden, denn die Nebenwirkungen können erheblich sein. Die Fruchtbarkeit zum Beispiel wird hochgradig negativ beeinflusst. Übrigens haben laut einer Studie verheiratete Männer einen tieferen Testosteronspiegel... aber lassen Sie sich deshalb bitte nicht scheiden.

Test: The Aging Males' Symptoms (AMS) Scale

Da die Produktion der männlichen Hormone ab einem Alter von 40 Jahren – manchmal auch früher – langsam absinkt, nehmen Männer im Allgemeinen die Symptome erst spät wahr und bringen sie eventuell nicht mit der tatsächlichen Ursache in Verbindung. Der so genannte AMS-Fragebogen dient in der Urologie der Erfassung altersbedingter Beschwerden, die neben anderen Ursachen auch durch erniedrigte Testosteron-Serumspiegel bedingt sein können. Die Fragen wurden auf der Basis eines internationalen Standards erstellt. Der AMS-Fragebogen kann zur Vorbereitung auf ein ärztliches Gespräch genutzt werden, ersetzt dieses aber auf keinen Fall.

Körperliches Wohlbefinden

Hat sich Ihr allgemeinenes Wohlbefinden verschlechtert?
Gesundheitszustand, subjektives Gesundheitsempfinden
1/17

Leiden Sie an Gelenk- und Muskelbeschwerden?
Kreuz-, Gelenk-, Glieder- und/oder Rückenschmerzen
2/17

Leiden Sie an starkem Schwitzen?
plötzliche Schweissausbrüche, Hitzewallungen unabhängig von Belastungen
3/17

Haben Sie Schlafstörungen?
Einschlaf- oder Durchschlafstörungen, zu frühes und müdes Aufwachen, schlecht schlafen, Schlaflosigkeit
4/17

Haben Sie ein erhöhtes Schlafbedürfnis und sind häufig müde?
5/17

Fühlen Sie sich körperlich erschöpft, hat Ihre Tatkraft nachgelassen?
allgemeine Leistungsminderung, fehlende Unternehmungslust; Gefühl, weniger zu schaffen und zu erreichen
6/17

Hat Ihre Muskelkraft abgenommen, verspüren Sie Schwächegefühle?
7/17

Psychisches Wohlbefinden

Sind Sie reizbar?
Aggressivität, durch Kleinigkeiten schnell aufgebracht, missgestimmt
8/17

Sind Sie nervös?
innere Anspannung, innere Unruhe, nicht Stillsitzen können
9/17

Verspüren Sie Ängstlichkeit oder Panikgefühle?
10/17

Leiden Sie an einer depressiven Verstimmung?
Mutlosigkeit, Traurigkeit, Weinerlichkeit, Antriebslosigkeit, Stimmungsschwankungen, Gefühl der Sinnlosigkeit
11/17

Fühlen Sie sich entmutigt, als hätten Sie den Totpunkt erreicht?
12/17

Sexuelles Wohlbefinden

Haben Sie das Gefühl, der Höhepunkt Ihres Lebens sei überschritten?
13/17

Haben Sie einen verminderten Bartwuchs?
14/17

Hat Ihre Potenz nachgelassen?
15/17

Hat die Anzahl morgendlicher Erektionen abgenommen?
16/17

Hat Ihre Libido abgenommen?
weniger Spass am Sex, kaum Lust auf Sexualverkehr
17/17

AMS-Resultat:

Sie müssen alle Fragen beantworten, um ein Testresultat zu erhalten.