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Warum erkranken Schweizer weltweit am meisten an weissem Hautkrebs?

«Zum guten Glück liegt Knackebraun nicht mehr im Trend»: Inja Alleman. Foto: Urs Jaudas
Die Haut ist das grösste menschliche Organ – und bietet darum auch viel Angriffsfläche. Die Dermatologin Inja Allemann über den richtigen Sonnenschutz und warum eine effektive Hautpflege weder aufwendig noch teuer sein muss.
Von Silvia Aeschbach
Zuerst war es das Herz, dann der Darm, und jetzt steht die Haut im Fokus vieler Ratgeber, Bücher und Tutorials. Warum ist das grösste menschliche Organ so spannend?Die Haut ist ein Spiegel unserer Seele. Ein Blick in unser Gesicht verrät, ob wir uns gestresst, müde, aufgeregt fühlen. Oder ob wir entspannt und ausgeruht sind. Obwohl sie nur hauchdünn ist, bietet unsere Haut Schutz gegen eine Vielzahl von Umwelteinflüssen. Und sie zeigt auch, wie es um unsere Gesundheit steht. Denn Störungen und Erkrankungen innerer Organe können sich auch anhand unseres Hautbilds zeigen. Natürlich wirkt eine gesunde Haut auch anziehend und attraktiv. Damit ist nicht in erster Linie das Fehlen von Falten gemeint. Sondern eine glatte und ebenmässige Oberfläche mit dem momentan so angestrebten Glow.

«Meine Philosophie lautet: Keep it simple!»

Egal, ob es sich um Hautpflege, Make-up, Anti-Aging oder Beauty-Eingriffe handelt: Der Skincare-Markt ist riesig – und er wird immer stärker umkämpft.


Ja, das stimmt. Weltweit werden nur für die Hautpflege geschätzt knapp 140 Milliarden Franken umgesetzt. Bei dieser Zahl ist der ganze Anti-Aging-Bereich mit nicht invasiven Behandlungen wie Botox, Hyaluronsäure usw. noch nicht mit eingerechnet. Dieser boomt zurzeit, wobei die Kundschaft immer jünger wird. Denn auch die Millennials wollen auf Instagram und Co. mit einer möglichst perfekten Haut glänzen. Der Beauty-Markt hat sich in den letzten Jahren allerdings verändert. Sogenannte Nischen-Brands machen etablierten Marken Konkurrenz.

Was macht Nischen-Brands so erfolgreich?
Viele dieser Brands setzen auf ein nachvollziehbares Konzept mit wenigen, aber ausgesuchten Ingredienzien. Früher hätten sie auf dem Markt keine Chancen gehabt, aber durch die Onlinekanäle haben sich neue und interessante Möglichkeiten ergeben. Das Gleiche gilt auch für die sogenannten Doctor-Brands, die von Dermatologen entwickelt werden. Hier geht es darum, dass diese durch ihren Absender einen gewissen Vertrauensbonus haben, da sie ja ärztlich entwickelt wurden und häufig auch über wissenschaftlich etablierte Inhaltsstoffe verfügen.

Damit werden neben einer gewissen Glaubwürdigkeit auch Image und Glamour verkauft. Dies gelingt vor allem auch, weil weibliche Superstars wie Gwyneth Paltrow oder Madonna diese meist hochpreisigen Doctor-Brands verwenden und promoten.
(lacht) Ja, aber was für Madonna stimmt, muss für Sie nicht gut sein. Vor allem bei Hautproblemen ist eine Creme vom Arzt, die persönlich auf Sie abgestimmt ist, die beste Lösung.

Erreicht man mit teuren Inhaltsstoffen mehr als mit günstigen Produkten?
Teurere Produkte sind nicht bessere Produkte. Wichtig ist, dass einerseits wissenschaftlich geprüfte wirkungsvolle Inhaltsstoffe vorhanden sind, und andererseits, dass diese Inhaltsstoffe in der entsprechenden Formulierung effektiv sind.

Was sind die Basics einer guten Hautpflege?
Das Wichtigste bei der Hautpflege ist, diese dem individuellen Hauttyp und dessen Bedürfnissen anzupassen. Meine Philosophie lautet: Keep it simple! Wichtig ist die tägliche Reinigung morgens und abends. Tagsüber sollten Produkte mit Antioxidantien benutzt werden und danach konsequenter Sonnenschutz. Am Abend nach der Reinigung eignen sich solche mit Retinol. Bei speziellen Problemen wie Pigmentierungen oder Rötungen sollten dann noch spezifische Inhaltsstoffe hinzukommen.

«Nur 30 Prozent der Schweizer gehen regelmässig mit einem Sonnenschutz aus dem Haus.»
Bei so viel Aufmerksamkeit, die die Haut zurzeit erhält, könnte man annehmen, dass die Menschen auch bezüglich Hautschäden gut informiert sind. Wie erklären Sie sich, dass nirgendwo auf der Welt mehr Menschen an weissem Hautkrebs erkranken als in der Schweiz?
Dass die Zahl der Erkrankungen bei weissem Hautkrebs in der Schweiz so hoch ist, hat sicher damit zu tun, dass hier viele Menschen hellhäutig sind. Rund 81 Prozent der Schweizer Bevölkerung schätzt laut einer aktuellen Studie ihren Hauttyp als sehr hell bis hell ein. Aber nur 30 Prozent der Schweizer gehen regelmässig mit einem Sonnenschutz aus dem Haus. Dazu kommt, dass wir in einer Erste-Klasse-Gesellschaft leben und das Geld haben, um die Ferien häufig in Ländern zu verbringen, in denen die Sonneneinstrahlung sehr stark ist.

Apropos Ferien: 60 Prozent der Schweizer Männer benutzen Sonnenschutz nur in den Ferien, und 16 Prozent von ihnen sind überzeugt, dass sie gar keinen Sonnenschutz benötigen. Da ist noch ziemlich viel Aufklärungsarbeit nötig.
Ja, das Interesse an Hautthemen ist ja relativ frisch, und die Aufklärung erreicht auch nur jene, die eine Affinität dazu haben. Und das sind in erster Linie Frauen. Aber viele jüngere Menschen haben durchaus erkannt, wie wichtig es ist, sich vor schädlichen Sonnenstrahlen zu schützen. Zum guten Glück liegt Knackebraun nicht mehr im Trend.

Ist es für einen Laien überhaupt möglich, zu unterscheiden, ob Hautveränderungen wie braune Flecken ungefährlich sind oder nicht?Durch eine regelmässige Selbsterkennung oder mithilfe eines Partners können Hautveränderungen erkannt werden. Dadurch kann auch ein Laie seine Pigmentmale mithilfe der sogenannten ABCDE-Regel beurteilen. Verdächtig sind Muttermale mit einer unregelmässigen Form (Asymmetrie), unscharfen Rändern (Begrenzung), unterschiedlichen Farben (Colour), unterschiedlichem Durchmesser (Diameter) und Veränderungen bezüglich Farbe, Form, Grösse und Dicke (Evolution). Das Wichtigste: Was auf unserer Haut wächst, muss ärztlich kontrolliert werden. Denn: Je früher ein Hautkrebs erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Die hellen Hautkrebsarten – der weisse Hautkrebs, das Basalzellkarzinom und das Stachelzellkarzinom –, an denen jeder dritte Mensch in der Schweiz ab 60 erkrankt, enden zwar in den meisten Fällen nicht tödlich, aber sie müssen behandelt werden, da sie destruierend wachsen.

Die «ABCDE-Methode»
So können Sie Hautkrebs erkennen
abcde


Wie oft sollte man seine Haut kontrollieren lassen?
Je nach Anzahl Muttermalen sollte man seine Haut einmal pro Jahr kontrollieren lassen.

Im Gegensatz zum weissen Hautkrebs ist der schwarze Hautkrebs sehr gefährlich. Und er betrifft auch eher jüngere Menschen.Ja, fast ein Viertel der an einem Melanom erkrankten Personen sind zum Zeitpunkt der Diagnose jünger als 50 Jahre alt. In der Schweiz erkranken jährlich rund 2700 Menschen an schwarzem Hautkrebs, das sind 7 Prozent aller Krebserkrankungen. Besonders gefährdet sind Menschen, die über 100 Pigmentmale besitzen, die in ihrer Form und Farbe unregelmässig sind, und solche, die schon früher unter Hautkrebserkrankungen gelitten haben. Und natürlich die, die in früheren Jahren exzessive Sonnenbäder genossen und viele Sonnenbrände hatten.

Schwarzer Hautkrebs muss herausgeschnitten werden und wurde früher im fortgeschrittenen Stadium mit einer Chemotherapie behandelt. Aktuell soll eine neue Behandlung, eine sogenannte Immuntherapie, erfolgreiche Behandlungsmöglichkeiten bieten.Ein Melanom muss zuerst nach wie vor herausgeschnitten werden. Bei fortgeschrittenem schwarzem Hautkrebs mit Metastasen in Lymphknoten oder Organen wird heute mit neuartigen Immuntherapien und zielgerichteten Wirkstoffen eine deutlich bessere Überlebensaussicht erreicht als «nur» mit einer Chemotherapie.

Damit es nicht zu Sonnenbränden, Falten oder eben Hautkrebs kommen kann, brauchen wir einen geeigneten Schutz. Wozu raten Sie bei den aktuellen sommerlichen Verhältnissen in der Schweiz?Ich rate zu täglichem Sonnenschutz mit einem Lichtschutzfaktor von mindestens 30, bei starker Sonne 50, welcher auch vor UV-A- und UV-B-Strahlung schützt. Sonnenschutz beinhaltet aber immer auch Verhalten und Kleidung: keine Sonnenexposition zur stärksten Sonneneinstrahlung und die exponierten Stellen mit Kleidung schützen, z.B. einen Hut tragen.

«Das bedeutet mindestens drei Esslöffel für den Körper und einen Teelöffel fürs Gesicht.»
Wie viel Sonnencreme braucht es am Tag?
Der Lichtschutzfaktor wird im Labor bestimmt, wobei eine Menge von zwei Milligramm Sonnenschutzmittel pro Quadratzentimeter Haut aufgetragen wird. Das bedeutet mindestens drei Esslöffel für den Körper und einen Teelöffel fürs Gesicht. Diese Menge sollte nach starkem Schwitzen und nach jedem Schwimmen neu aufgetragen werden. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die meisten Menschen viel zu wenig Sonnenschutz auftragen – er sollte unbedingt grosszügiger verwendet werden.

In letzter Zeit stehen organische UV-Filter in Sonnencremes und anderen Kosmetikprodukten in Verdacht, hormonaktiv zu sein und Krebs oder Fortpflanzungsstörungen auszulösen. Was halten Sie davon?
Nach aktuellem Wissensstand ist der Nutzen von Sonnenschutzmitteln grösser als die möglichen Risiken. Ich halte mich hier klar an die Empfehlungen der Krebsliga Schweiz und unserer schweizerischen Fachgesellschaft für Dermatologie und Venerologie.

Wenn es um die Hautalterung geht, wird in letzter Zeit immer wieder von schädlichen Inflammationsprozessen gesprochen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Entzündungsprozesse in der Haut führen zur Freisetzung von Enzymen, die unsere Hautstrukturen schädigen und zerstören können. Es treten Rötungen, Brennen oder Schuppen auf. Entzündungen führen auch zu Alterungsprozessen der Haut. Schuld an diesen inflammatorischen Prozessen sind unter anderem zu viele Sonnenbäder, Sonnenbrände, das Rauchen, Umweltgifte oder zu viel Zucker.

Kann diesen Entzündungsprozessen mit einer gesunden Ernährung gegengesteuert werden?
Lebensmittel mit gesunden Fetten, wie beispielsweise Avocado, fettarme Proteine, wie sie der Lachs enthält, antioxidative Früchte wie Beeren oder auch faserreiche Nahrungsmittel wie Gemüse sind eine gute Basis dafür. Aber genauso wichtig ist eine gesunde Lebensführung.

Stichwort Digital Aging: Wie gefährlich ist das Blaulicht durch Computer oder Handys für unsere Haut?
Es gibt zunehmend Beweise, dass blaues Licht zu photoinduzierter Hautalterung führen kann, was sich in zunehmender Faltenbildung, Verlust der Elastizität der Haut und Pigmentierungen äussert. Es braucht hier aber mehr wissenschaftliche Daten, um eine definitive Beurteilung zu fällen.

Wenn es um die Beseitigung von Pigment- und anderen Flecken geht, gelten Laserbehandlungen als besonders effektiv. Warum?
Der heutige Goldstandard zur Entfernung von Pigmentveränderungen ist deren Behandlung mit pigmentspezifischen Lasern. Mit der neusten Technologie, die höchst präzise arbeitet, können Pigmentveränderungen entfernt werden, ohne die umgebende Haut zu schädigen. Ich muss aber betonen, dass Muttermale niemals gelasert werden dürfen. Vor jeder Lasertherapie ist darum eine fachärztliche Beurteilung der Pigmentveränderung unerlässlich.

Worin liegt das Risiko?
Das grösste Risiko ist der Mensch, der den Laser nicht richtig anwenden kann. Abgesehen davon, dass diese Laser bei unsachgemässem Gebrauch unsere Augen verletzen können und wir daher immer einen Augenschutz tragen, können auf der Haut auch unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Lokale Einblutungen etwa, Blasenbildungen, Hyperpigmentierung, Infektionen oder Narbenbildung. Bei falschen Einstellungen des Lasers können solche Nebenwirkungen verstärkt auftreten. Darum sollten Laserbehandlungen nur von Ärzten durchgeführt werden.

Zurück zum Darm, der ganz zu Beginn angesprochen wurde: Welchen Beitrag leistet eine gesunde Darmflora für schöne Haut?
Es scheint, dass die Darmflora, welche auch Mikrobiom genannt wird, die Fähigkeit besitzt, Substanzen zu produzieren, welche unsere Hautqualität positiv beeinflussen. Darmbakterien können also für eine schöne und gesunde Haut sorgen.

Inja Allemann, Dr. med., ist spezialisiert auf Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. Sie ist die einzige Doppelfachärztin FMH der Schweiz für Plastische Chirurgie und Dermatologie sowie Expertin der Lasermedizin. Inja Allemann ist Mitinhaberin von Rivr (www.rivr.ch), dem Medizinischen Campus für Plastische und Rekonstruktive Chirurige, Handchirurgie, Dermatologie und Lasermedizin in Zürich.