Tages-AnzeigerTages-Anzeiger

In diesen Gemeinden wohnen die Klimasünder

Eine Datenanalyse zeigt erstmals, in welchen Schweizer Gemeinden besonders viele Autos mit hohem CO₂-Ausstoss unterwegs sind. Wie sieht es in Ihrer Gemeinde aus?

Dominik Balmer, Fanny Giroud, Mathias Born

Die Autofahrer und Autofahrerinnen tragen einen wesentlichen Teil zur schlechten Klimabilanz der Schweiz bei. So stammt laut dem Bundesamt für Umwelt rund ein Drittel der gesamten Emissionen von Kohlenstoffdioxid (CO₂) in der Schweiz aus dem Verkehr. Und davon wiederum kommen drei Viertel von den Personenwagen. CO₂ ist ein Treibhausgas, das den Klimawandel beschleunigt.

Die Politik versucht, Gegensteuer zu geben – allerdings ohne grossen Erfolg, wie ein neuer Bericht des Bundesamts für Energie (BFE) zeigt: Zwar sind die Autoimporteure seit 2012 verpflichtet, die Emissionen von neuen Personenwagen auf den Zielwert von durchschnittlich 130 Gramm CO₂ pro Kilometer zu beschränken. Seit 2015 ist dieser Wert verbindlich. Er wurde aber bislang immer verfehlt. Können die Importeure den Wert nicht einhalten, müssen sie Strafzahlungen leisten – 2018 waren es rund 32 Millionen Franken.

Klar ist, dass diese Strafzahlungen künftig noch viel höher ausfallen werden. Denn seit diesem Jahr gilt ein neuer Zielwert von 95 Gramm CO₂ pro Kilometer. Kommt hinzu, dass die CO₂-Werte der Neuwagen zuletzt sogar gestiegen sind.

Für die Gesamtbilanz ist allerdings vor allem entscheidend, wie viel CO₂ die bestehenden Autos ausstossen. Eine Datenanalyse geht jetzt erstmals dieser Frage nach – und zeigt, in welchen Gemeinden die Autofahrerinnen und -fahrer besonders umweltschädigend unterwegs sind. Basis der Auswertung ist ein Datensatz des Bundesamts für Strassen (Astra) mit rund 4,6 Millionen Personenwagen.

Die grossen sechs Städte

8% aller Autos in der Schweiz
4,6 Mio.

Lesebeispiel: Der durchschnittliche CO₂-Ausstoss aller Autos, die in der Stadt Basel gemeldet sind, beträgt rund 163 Gramm CO₂ pro Kilometer. Das ist knapp über dem Schweizer Schnitt von 160 Gramm CO₂ pro Kilometer.

Top-Grossstädte
Flop-Grossstädte
Kartenmaterial: Bundesamt für Statistik, GEOSTAT

Städter sehen sich gemeinhin als umweltfreundlich. Allerdings gilt dies nicht für alle städtischen Autofahrer, wie die Datenanalyse belegt. So beträgt beispielsweise der durchschnittliche CO₂-Ausstoss der Autos in der Stadt Basel rund 163 Gramm pro Kilometer. Damit liegt die Stadt sogar über dem schweizerischen Schnitt von rund 160 Gramm. Ebenfalls darüber liegt die Stadt Genf.

Den tiefsten Wert der sechs grössten Schweizer Städte weist Lausanne auf: nicht einmal 150 Gramm CO₂ pro Kilometer. Die Lausanner sind bekannt für ihre besonders kritische Haltung gegenüber Offroadern, die in der Regel besonders viel Benzin verbrauchen. So hatten linke Kreise vor kurzem eine Initiative lanciert, um Geländewagen und sogenannte Super Utility Vehicles (SUV) aus der Stadt zu verbannen.

Doch selbst fürs vorbildliche Lausanne gilt: Der durchschnittliche CO₂-Wert aller Autos liegt immer noch deutlich über den Werten, wie sie kleinere Gemeinden im Tessin oder in der Waadt aufweisen.

Die Berggemeinden

26% aller Autos in der Schweiz
4,6 Mio.

Lesebeispiel: Der durchschnittliche CO₂-Ausstoss aller Autos, die in der Gemeinde Riemenstalden gemeldet sind, beträgt rund 205 Gramm CO₂ pro Kilometer. Der Durchschnitt aller Autos in der Schweiz beträgt 160 Gramm CO₂ pro Kilometer.

Top-Gemeinden
Flop-Gemeinden
Kartenmaterial: Bundesamt für Statistik, GEOSTAT

Riemenstalden hält einen unrühmlichen Rekord. In der bergigen Gemeinde im Kanton Schwyz fahren die Einwohner besonders klimaschädliche Autos. Gemäss der Datenanalyse gibt es in Riemenstalden per Ende Januar 2020 rund 40 immatrikulierte Autos – bei nicht einmal 100 Einwohnerinnen und Einwohnern. Und sehr viele dieser Autos haben einen Allradantrieb. Die zahlreichen Offroader sind denn auch alles andere als klimafreundlich. Pro Auto in der Berggemeinde beträgt der durchschnittliche CO₂-Ausstoss 205 Gramm pro Kilometer. Dieser Wert entspricht laut Experten einem durchschnittlichen Benzinverbrauch von 8,9 Litern auf 100 Kilometer.

Trotz Rekordwerten – Gemeindepräsident Martin Gisler stört sich nicht daran. «Solange die Leute immer noch um die Welt fliegen, habe ich keine Probleme damit», sagt er. In Riemenstalden sei man eben aufs Auto angewiesen. «Wir haben kaum öffentlichen Verkehr.» Einzig am Morgen und am Nachmittag fährt ein Postauto in die Gemeinde. Gisler selber besitzt einen VW als Familienauto und einen Jeep für Viehtransporte. Und er betont: «Wir fahren mit unseren Autos nur sehr wenige Kilometer im Jahr.» Er selber mache zudem nie Ferien. Das müsse auch berücksichtigt werden. Zudem seien Elektroautos gar nicht so umweltfreundlich, wie es immer heisse – dies gelte gerade für die Herstellung und Entsorgung der Batterien.

Allerdings sehen dies die Autoexperten vom Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) anders. Gerade von Elektroautos erhoffen sie sich einiges. «In absehbarer Zeit werden auch immer mehr Elektromodelle angeboten, die genügend leistungsfähig für die Schweizer Bergregionen sind», sagt Anette Michel, VCS-Projektleiterin Auto-Umweltliste. Gerade in Bergregionen dürften Elektroautos zusätzlich attraktiv werden, «weil beim Herunterfahren Bremsenergie zurückgewonnen werden kann».

Die Analyse zeigt aber auch, dass es durchaus Berggemeinden gibt, die weniger klimaschädliche Autos haben – beispielsweise im Tessin.

Die städtischen Gemeinden

41,6% aller Autos in der Schweiz
4,6 Mio.

Lesebeispiel: Der durchschnittliche CO₂-Ausstoss aller Autos, die in der städtisch geprägten Gemeinde Wollerau gemeldet sind, beträgt rund 173 Gramm CO₂ pro Kilometer. Das ist über dem Schweizer Schnitt von 160 Gramm CO₂ pro Kilometer.

Top-Gemeinden
Flop-Gemeinden
Kartenmaterial: Bundesamt für Statistik, GEOSTAT

In der Kategorie der kleineren Städte und den städtisch geprägten Gemeinden bestätigen sich viele Klischees. Die Analyse zeigt deutlich: Die reichen Gemeinden insbesondere in der Deutschschweiz mit guter Lage an den Seen weisen hohe Werte auf. In der Spitzengruppe vertreten sind auch die Zürcher Goldküstengemeinden. Ganz zuoberst steht jedoch das Steuerparadies Wollerau im Kanton Schwyz. Überraschend dabei: Wollerau besitzt offiziell das Label Energiestadt vom Bundesamt für Energie – und stellt diesen Umstand auf der Website auch entsprechend prominent dar. Mit dem Label zeichnet das Bundesamt für Energie in der Schweiz Gemeinden aus, «die ein Qualitätsmanagement für die Umsetzung ihrer Energie und Umweltpolitik eingeleitet haben». Wollerau zum Beispiel verfügt laut Angaben auf der Website über eine «sorgfältig erarbeitete Energiestrategie 2020». Der Autoverkehr scheint dabei allerdings keine Rolle zu spielen, wie der Spitzenwert in dieser Kategorie zeigt.

Wie passt das zusammen? Wolleraus Gemeindeschreiber Andreas Meyerhans geht in seiner Antwort nicht näher auf das Energiestadt-Label ein. Er sagt bloss: «Wir nehmen das Resultat zur Kenntnis. Und wir stellen fest, dass die Einwohner unserer Gemeinde auch Autos kaufen, die einen etwas höheren CO₂-Ausstoss haben. Allerdings können wir als Gemeinde keinen Einfluss darauf nehmen.»

Letztlich dürften die CO₂-Werte einzelner Gemeinden auch vom Wohlstand beeinflusst sein. Dieser scheine «ein entscheidendes Kriterium» bei der Modellwahl zu sein, sagt VCS-Projektleiterin Anette Michel. Dies zeige auch die Neuwagen-Statistik. Zug weise dabei die höchsten CO₂-Emissionen auf; die Werte von Obwalden und dem Tessin seien am tiefsten. Auch Micaël Tille, Dozent für Transportwesen und Infrastruktur an der EPFL Lausanne, sagt: «Die Schweiz ist ein reiches Land. Hier kaufen die Leute in der Regel mehr mächtige und schwere Autos als in anderen Ländern. Wenn man deswegen einen Umwelt-Straf-Zuschlag zahlen muss, stört das niemanden.»

Die Landgemeinden

9,9% aller Autos in der Schweiz
4,6 Mio.

Lesebeispiel: Der durchschnittliche CO₂-Ausstoss aller Autos, die in der ländlich geprägten Gemeinde Kilchberg BL gemeldet sind, beträgt rund 183 Gramm CO₂ pro Kilometer. Das ist über dem Schweizer Schnitt von 160 Gramm CO₂ pro Kilometer.

Top-Gemeinden
Flop-Gemeinden
Kartenmaterial: Bundesamt für Statistik, GEOSTAT

Bemerkenswert ist die Verteilung in den Gemeinden, die zu den ländlich geprägten gehören. An der Spitze stehen gleich drei Gemeinden aus dem Kanton Basel-Landschaft: Kilchberg, Häfelfingen und Liesberg. Warum das so ist, wissen selbst die basel-ländischen Behörden nicht. Bei der zuständigen Motorfahrzeugkontrolle heisst es bloss, man habe «keine Erklärung» für den geschilderten Sachverhalt.

Die tiefsten Werte in derselben Kategorie weisen insbesondere zahlreiche Gemeinden aus dem Kanton Waadt auf. Diese Verteilung auf Gemeindeebene bildet sich auch bei den kantonalen Durchschnittswerten ab. Der Kanton Waadt hat gemeinsam mit dem Tessin und weiteren Kantonen aus der Romandie die tiefsten durchschnittlichen CO₂-Werte.

Warum diese Kantone tiefe Werte haben, ist auch für Experten nicht restlos geklärt. Eine mögliche Erklärung sind Prämien, die einzelne Kantone für den Kauf von Elektroautos gewähren – der Kanton Tessin beispielsweise kennt ein solches Modell.

Bei der Kategorie der Landgemeinden handelt es sich durchwegs um solche, die nicht der offiziellen Kategorie der Berggemeinden angehören. Das Argument, wegen der Topografie einen Offroader zu fahren, gilt daher nicht. Anette Michel, VCS-Projektleiterin Auto-Umweltliste, sagt es so: «Die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung benötigt keinen Allradantrieb und keinen grossen SUV für den täglichen Gebrauch. Viele Autos sind ganz klar zu gross, zu schwer und stossen zu viel CO₂ aus - europaweit am meisten.»

Die Gemeinden zwischen Stadt und Land

14,6% aller Autos in der Schweiz
4,6 Mio.

Lesebeispiel: Der durchschnittliche CO₂-Ausstoss aller Autos, die in der Gemeinde Dittingen BL gemeldet sind, beträgt rund 174 Gramm CO₂ pro Kilometer. Das ist über dem Schweizer Schnitt von 160 Gramm CO₂ pro Kilometer.

Top-Gemeinden
Flop-Gemeinden
Kartenmaterial: Bundesamt für Statistik, GEOSTAT

Abzüglich der Berggebiete gehören in der Schweiz rund 400 Gemeinden zur Kategorie «intermediär» – dazu gehören Gemeinden, die sowohl ländlich als auch städtisch geprägt sind. Die Verteilung in dieser Kategorie zeigt ein ähnliches Bild wie bei den Landgemeinden. Mit hohen Werten an der Spitze stehen Gemeinden aus dem Kanton Baselland. Mit tiefen Werten zeichnen sich insbesondere Orte in der Romandie aus.

Ein Sonderfall stellt Dielsdorf ZH dar. Die Gemeinde in der Nähe des Zürcher Flughafens weist atypisch tiefe CO₂-Werte auf – über alle Autos hinweg sind es im Schnitt nur gerade rund 145 Gramm CO₂ pro Kilometer. Gleichzeitig ist in Dielsdorf die Quote der Elektroautos sehr hoch, was natürlich die CO₂-Werte auch beeinflusst – nur gerade die autofreien Tourismusdestinationen Zermatt und Saas-Fee stehen diesbezüglich besser da.

Sandro Kälin, Sprecher von BMW Schweiz, bestätigt denn auch, dass «alle Fahrzeuge aus dem Fuhrpark der BMW Group Switzerland auf das Unternehmen mit Sitz in Dielsdorf ZH zugelassen werden. Der Fuhrpark befindet sich ebenfalls an diesem Standort.»

Weiter will sich der Sprecher nicht mehr äussern. Die Datenanalyse zeigt aber, dass rund ein Drittel aller Autos aus dem Hause BMW stammen.