In vergangenen Jahr sind in der Schweiz fast 2500 mehr Menschen gestorben als erwartet. Das zeigt unsere Auswertung der Todesfallzahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS). Anhand der Fallzahlen der vorangegangenen zehn Jahre berechnet das BFS jeweils einen Erwartungswert für jede einzelne Kalenderwoche. Wird dieser deutlich überschritten, spricht man von einer Übersterblichkeit.
Aktuell ist das gerade wieder der Fall. Seit Mitte November gibt es bei über 65-Jährigen mehr Todesfälle, als in dieser Zeit üblicherweise auftreten. Es ist bereits die dritte Sterbewelle in dieser Altersgruppe seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Schon während der ersten und der zweiten Welle kam es zu einer Übersterblichkeit, die noch höher war als in diesem Winter.
Jeder Todesfall in der Schweiz muss beim regional zuständigen Zivilstandsamt gemeldet werden. Die Daten werden dem BFS übermittelt, das die «beobachteten» Zahlen mit den «erwarteten» Zahlen vergleicht. Es berechnet Erwartungswerte anhand der Fallzahlen der vorangegangenen zehn Jahre. Um eine Verzerrung wegen der Corona-Pandemie zu umgehen, beruht die Berechnung der Übersterblichkeit 2021 weiterhin auf der für das Jahr 2020 erwarteten Zahl der Todesfälle.
Die Berechnung entspricht nicht einfach einem Durchschnittswert, sondern berücksichtigt die Veränderung der Bevölkerung von Jahr zu Jahr. Für jeden Erwartungswert wird eine Bandbreite berechnet, innerhalb derer Schwankungen als zufällig gewertet werden. Wird diese überschritten, ist die Abweichung also nicht mehr mit zufälligen Schwankungen erklärbar, spricht man von einer Übersterblichkeit.
Dass die Übersterblichkeit im vergangenen Jahr weniger stark ausfiel als noch 2020, hat verschiedene Gründe. Ein entscheidender Faktor ist sicher die Covid-Impfung, die viele schwere Verläufe und Todesfälle verhindert. Während Ende 2020 bis zu 1900 Menschen pro Woche starben, waren es auf dem Höhepunkt der aktuellen Übersterblichkeit am 26. Dezember noch 1600. Das Gesundheitspersonal hat inzwischen auch mehr Erfahrung in der Behandlung von Covid-Patientinnen und -Patienten.
Zudem gab es zwischen Ende Februar und Mitte April eine Untersterblichkeit, das Pendel schlug also auf die andere Seite aus. Das hat zum einen mit Statistik zu tun: Weil einige Personen, die im Zuge der zweiten Welle starben, ohnehin nur noch wenige Wochen zu leben gehabt hätten, «fehlten» diese Todesfälle in den nachfolgenden Monaten. Zum anderen spielt das Ausbleiben der Grippewelle eine wichtige Rolle: Weil die Mobilität und die Kontakte reduziert wurden und vielerorts Maskenpflicht galt, gab es im vergangenen Winter kaum Fälle. Die Grippe fordert normalerweise mehrere Hundert, in schweren Saisons sogar über 2000 Todesfälle, die ausblieben. Auch andere Infektionskrankheiten sind vermutlich infolge der Hygienemassnahmen zurückgegangen.
Trotz all diesen Einschränkungen gab es im vergangenen Jahr zu viele Todesfälle. Es starben 69’679 Menschen – 1890 oder 2,8 Prozent mehr als 2019, dem letzten normalen Jahr vor der Pandemie. Zum Vergleich: Seither wuchs die Schweizer Bevölkerung nur um 0,9 Prozent.
Ohne Massnahmen wäre die Differenz zu einem gewöhnlichen Jahr noch grösser ausgefallen. Denn 2021 starben über 4200 Menschen an den Folgen einer Covid-Erkrankung, wie Zahlen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zeigen. Hätte es also keinen Rückgang bei den Todesfällen aufgrund anderer Ursachen gegeben, sähe die Bilanz weitaus schlechter aus.
Nicht alle Regionen sind indes gleichermassen betroffen. In Zürich zum Beispiel gab es während der aktuellen Corona-Welle nur für eine kurze Zeit mehr Todesfälle als üblich. Das Tessin verzeichnete gar keine Übersterblichkeit. In der Ost- und der Zentralschweiz hingegen hielt diese wochenlang an. Die Genferseeregion war 2020 am stärksten gebeutelt, als zeitweise mehr als doppelt so viele Menschen starben wie erwartet. 2021 zeigte sich im Westen des Landes ein ganz anderes Bild.
Auch in früheren Jahren ist es immer wieder mal zu einer Übersterblichkeit gekommen. Etwa 2003, als die Schweiz den heissesten Sommer seit Beginn ihrer Aufzeichnungen erlebte. Laut dem BAG gab es damals zwischen Juni und August 975 zusätzliche Todesfälle. Oder 2015, als wegen einer sehr starken Grippewelle über das ganze Jahr gesehen 2200 Personen mehr starben als erwartet. Doch das steht in keinem Verhältnis zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie, die in weniger als zwei Jahren schon mehr als 12’000 Opfer gefordert hat.