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Impfskepsis? So antwortet die Wissenschaftlerin

Wir haben Leserinnen und Leser gefragt, warum sie auf die Corona-Impfung verzichten. Claire-Anne Siegrist, die renommierteste Schweizer Impfforscherin, antwortet auf ihre Bedenken.

Linus Schöpfer, Sebastian Broschinski
Aktualisiert am Aktualisiert 7. Januar 2021

Stellen Sie sich vor, die Schweiz erhält bis im Sommer mehrere Millionen Dosen mit Impfstoff gegen das Coronavirus. Und dann... bleibt sie darauf sitzen. Ein durchaus realistisches Szenario, denn die Skepsis im Land ist gross. Dies, obwohl die Impfungen hochwirksam, freiwillig und kostenlos sind und bisher nur geringe Nebenwirkungen festgestellt wurden.

Auf die Frage, warum sie sich nicht gegen Corona impfen lassen wollen, meldeten sich in den letzten Tagen Dutzende Leserinnen und Leser. Eine Auswahl ihrer Argumente haben wir Claire-Anne Siegrist vorgelegt.

Siegrist ist Professorin für Vakzinologie an der Universität Genf. Die Schweizerin berät die WHO in Impffragen, leitete unter anderem auch eine Studie zur Entwicklung des Ebola-Impfstoffs. Von 2004 bis 2014 präsidierte Siegrist die Eidgenössische Kommission für Impffragen.

Bedenken wegen der Gefahren
Clara V.
37, Geografin, Kanton Bern
Letztes Jahr wurde immer wieder betont, die Entwicklung und Erprobung eines sicheren Impfstoffs dauere Jahre. Warum sollte das jetzt nicht mehr gelten?
Dass es eine Pandemie brauchte, damit Regierungen die nötigen finanziellen Risiken eingingen – Risiken, die die Pharmabranche nie eingehen würde –, das ist in der Tat unverständlich. Dank ihrer Milliarden konnten nun aber alle Phasen der Impfstoffentwicklung parallel stattfinden. Üblicherweise wird auf den Erfolg einer Phase gewartet, bevor man die nächste beginnen kann. Es wurden Fabriken für Impfstoffe gebaut, bevor man überhaupt wusste, ob der betreffende Impfstoff wirksam sein würde! Eine solche Situation ist ohne eine schwere Pandemie undenkbar.
Nathalie J.
38, Ärztin Dr. med., Kanton Bern
Ich werde mich vorerst nicht impfen lassen. Dies aus folgendem Grund: Die Behörde rät davon ab, den Impfstoff Menschen abzugeben, die in den vergangenen drei Monaten eine Corona-Infektion durchgemacht haben. Das Problem: Viele Verläufe sind asymptomatisch. Das heisst, es werden zwangsläufig Menschen geimpft werden, die eigentlich nicht geimpft werden sollten.
Ich verstehe, dass die Kommunikation diesbezüglich verwirrend war. In Wirklichkeit ist eine Impfung aber auch dann kein Risiko, wenn man kürzlich an Covid erkrankt ist. Einige Studien haben sich genau dieser Frage angenommen, und die kürzlich erkrankten Probanden hatten keine Probleme mit der Impfung. Allerdings kann man nach einer Infektion drei Monate abwarten, weil der Schutz vor einer neuerlichen Infektion mindestens so lange anhält. Das Zuwarten ist aber keine Notwendigkeit.
Olivia Y.
62, Ärztin Dr.med., Kanton Zürich
Zu mRNA-Impfstoffen wird seit 1990 geforscht, etwa gegen Krebs, Influenza, HIV, Ebola, Zika oder Tollwut. Offenbar waren die Impfstoffe bisher nicht erfolgreich, oder sie zeigten andere Probleme. Warum sollten wir ihnen jetzt ganz plötzlich vertrauen?
Hätten die Regierungen bereits früher so viel Geld in die Hand genommen wie jetzt gegen die Pandemie hätten wir heute Impfstoffe gegen viele Krankheiten und zudem wirksamere Impfstoffe gegen die Grippe. Das ist so. Der mRNA-Impfstoff machte bisher allerdings noch nie Probleme – ausser dass er nicht effektiv genug war! Dank öffentlicher Gelder konnten die Pharmaunternehmen nun Dutzende von Impfstoffkandidaten miteinander vergleichen und den wirksamsten auswählen. Ich bin mir sicher, dass uns diese Technologie endlich neue und bessere Impfstoffe ermöglichen wird.
Heidi W.
60, Buchhalterin, Kanton Wallis
Der Biontech/Pfizer-Impfstoff greift in die Genstruktur ein, und man weiss immer noch nicht, wie das genau funktioniert. Deshalb lasse ich mich nicht impfen.
Gelangten Gene aus einem Impfstoff in meine Gene, würde mir das auch Sorgen machen. Das ist beim mRNA-Impfstoff aber nicht der Fall. Der Impfstoff gelangt vielmehr in den Teil der Muskelzellen und in die weissen Blutkörperchen. Diese «denken», dass es sich um ein Virus handle, und aktivieren das Immunsystem. Der Impfstoff kann gar nicht in den Kern der Zellen eindringen, wo sich unsere Gene, unsere DNA, befinden. Der Impfstoff ist also kein Risiko für unsere DNA. Die mRNA wird etwa zwei Tage lang in Protein übersetzt, dann wird sie zerstört. Das ist genau derselbe Prozess, der bei einer Infektion – egal ob Covid, Grippe, oder Erkältung – abläuft. Milliarden viraler mRNA-Moleküle gelangen in unsere Zellen. Sie verändern aber nicht unsere eigenen Gene.
Tim Q.
57, Angestellter im Gesundheitswesen, Kanton Zürich
Was jetzt passiert, ist ein Feldversuch am Menschen. Das mache ich nicht mit. Wir impfen die Menschen mit einer Teilerbinformation des Coronavirus, und der Mensch produziert dieses Protein dann selbst in der Hoffnung, dass unser Immunsystem dagegen wirkt. Was genau passiert, kann aber niemand erklären. Denn wir wissen ja nicht, in welche Körperzellen diese Proteine aufgenommen werden.
Was nach der Injektion passiert, ist heute zum Glück viel besser bekannt als noch vor ein paar Monaten. Erwiesen ist auch, dass das Immunsystem sehr gut reagiert. Dass die Impfungen sehr effektiv – konkret 95% der Impfungen – gegen Covid-19 schützen.
Tom Z.
52, Musiker, Kanton Zürich
Dass die Pharmakonzerne die Verantwortung für Folgeschäden auf den Staat abwälzen, zeigt, dass sie hohe Haftungskosten nicht ausschliessen. Deshalb lasse ich mich frühestens in einem Jahr impfen, wenn man sieht, wie es den ersten Geimpften ergangen ist.
Wenn die Pharmaunternehmen nicht verantwortlich gemacht werden könnten, wäre das tatsächlich schockierend. Zum Glück ist das aber nicht so. Die Pharmaunternehmen bleiben zu 100 Prozent verantwortlich für alle Herstellungsfehler und alle Probleme, die während der Entwicklung des Impfstoffs auftreten können. Die einzige Verantwortung, die die Regierungen übernehmen, ist folgende: die Entschädigung für den Fall, dass nach der Impfung eine schwere, aber seltene Nebenwirkung auftritt. Die Regierungen haben diese Mitverantwortung akzeptiert, damit der Impfstoff schneller hergestellt werden kann. Ohne diese Vereinbarung müssten wir jetzt noch auf einen Impfstoff warten.
Cynthia Y.
40, Selbständige, Kanton Bern
Ich leide am Mastzellaktivierungssyndrom und an Allergien. Impfungen können bei diesen Vorerkrankungen starke allergische Reaktionen und langfristige Verschlechterungen der chronischen Erkrankung auslösen. Daher möchte ich das Risiko dieser Impfung nicht eingehen.
Dieses Argument kann ich sehr gut nachvollziehen. Zumal sie noch jung und ansonsten hoffentlich gesund sind!

Zur Impfskepsis in der Schweiz

Ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung steht der Corona-Impfung skeptisch gegenüber. So zeigte eine repräsentative Tamedia-Umfrage von Ende November, dass sich 42 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer nicht oder eher nicht gegen Corona impfen lassen wollen. Politisch gesehen ist die Impfskepsis unter den Anhängern der SVP am grössten: 53 Prozent der SVP-Anhänger wollen sich nicht oder eher nicht impfen lassen. Leicht überdurchschnittlich die Skepsis aber auch bei den Grünen: Von ihnen wollen sich 45 Prozent nicht oder eher nicht impfen lassen. Eine ebenfalls im November veröffentlichte, genauso repräsentative Umfrage des Bundesamts für Gesundheit kam überdies zum überraschenden Befund, dass die Bereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer, sich gegen das Coronavirus zu impfen, zwischen März und Oktober 2020 um zehn Prozent gesunken ist.

Bedenken wegen der Wirksamkeit
Ignaz Y.
61, Informatiker, Kanton Solothurn
Ich lasse mich nicht impfen, weil ich weitere Mutationen des Virus erwarte und ich nicht glaube, dass der Impfstoff einen anhaltenden Schutz bietet – im Gegensatz zu einer durchgemachten Erkrankung.
Noch wissen wir nicht, wie lange die Impfstoffe schützen. Das stimmt. Was wir aber leider bereits wissen: dass die Immunität nach einer Infektion nicht lange anhält. Aber wenn Sie, Ihre Familie und Freunde gesund sind, besteht keine Eile, sich impfen zu lassen. Sie können abwarten, bis diese Informationen bekannt sind.
Brigitte W.
58, Lehrerin, Kanton Zürich
Obwohl ich zur Risikogruppe zähle, lasse ich mich nicht impfen, solange nicht feststeht, ob der Impfschutz auch die Weiterverbreitung des Virus verhindert. Ob der Impfstoff dies kann oder nicht, ist für mich die Gretchenfrage.
Für junge und gesunde Menschen ist der Schutz ihrer Liebsten tatsächlich der wichtigste Impfgrund. Ob der Impfschutz das Virus hindert, sich zu verbreiten, können wir bis jetzt nur hoffen. Garantieren können wir es aber noch nicht. Nehmen Sie sich also Zeit, bis Sie überzeugt sind.
Helena X.
27, Veterinärmedizinerin, Kanton Aargau
Ich lasse mich nicht impfen, weil noch grundsätzliche Fragen offen sind. Etwa, wie lange und gut der Schutz ist oder ob man trotzdem noch ansteckend ist. Bei einer Impfung sollte immer das Risiko von unerwünschten Wirkungen mit dem Schweregrad der Krankheit verglichen werden. Dies ist hier noch nicht möglich, zudem erwarte ich als junge Person einen milden Covid-Verlauf, falls es mich treffen sollte.
Die Antwort auf die vorherige Frage von Brigitte W. gilt umso mehr, wenn sie von einer 27-Jährigen gestellt wird!
Bedenken wegen der Notwendigkeit
Clara C.
48, Lehrerin, Kanton Basel Stadt
Ich habe eine Corona-Erkrankung durchgemacht und sehe daher keinen Grund, mich impfen zu lassen.
Ich hoffe, die Krankheit war nicht ernst oder langwierig. Dann ist es umso besser für Sie, dass Sie die Infektion durchgemacht haben. Doch leider wissen wir, dass der Schutz nach der Erkrankung allmählich abnimmt. Aber Sie sind ja noch jung, da drängt die Entscheidung nicht.
Sara W.
38, Managerin, Kanton Graubünden
Ich bin 38, gesund und eigentlich nie krank. Weshalb sollte ich mich impfen lassen? Würde es nicht reichen, wenn sich die Risikopersonen impfen lassen und wir gesunden Personen uns quasi durchseuchen lassen würden?
Für Junge wie Sie ist der Hauptgrund für die Impfung, andere zu schützen. Hier wissen wir aber wie gesagt noch nicht ganz genau, wie die Impfung funktioniert. Nehmen Sie sich ruhig die Zeit!
Xaver F.
48, Architekt, Kanton Zürich
Die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems lässt sich entschärfen, wenn man nun ältere und gefährdete Menschen sowie Pflegepersonal impft. Bei allen anderen sehe ich keinen triftigen Grund dafür. Der Nutzen einer Impfung ist für Jüngere sehr gering, da nur ein verschwindend kleiner Teil von ihnen schwer erkrankt. Auf der anderen Seite sind deren mögliche Langzeitwirkungen noch unbekannt.
Sie haben recht: Für diejenigen, die jung und gesund sind, besteht keine Eile. Denn erstens gibt es noch nicht genug Impfstoff für alle. Und zweitens werden in einigen Monaten neue Daten zur Sicherheit des Impfstoffs vorliegen. Diese Daten werden es für alle viel einfacher machen, sich zu entscheiden.

Zu den Impfstoffen

Bis Ende Monat sollten alle Kantone mit Impfungen gegen das Coronavirus begonnen haben. Basel hat am 28. Dezember damit begonnen, Zürich am 4. Januar, die ersten Bernerinnen und Berner werden am 11. Januar geimpft. Die Schweiz hat Impfstoffe der Firmen Astra-Zeneca, Moderna und Pfizer/Biontech bestellt. Letzterer ist als bisher einziger im Einsatz, die Heilmittelbehörde Swissmedic hat ihn im Dezember zugelassen. Das Biontech-Vakzin setzt auf die neuartige mRNA-Technologie. Der Impfstoff von Biontech bietet einen 95-prozentigen Schutz für die Geimpften. Der Bund hat 3 Millionen Impfdosen davon bestellt. Vom Stoff von Astra-Zeneca hat die Schweiz rund 5, vom Stoff von Moderna gut 4.5 Millionen Dosen geordert. Diese beiden Impfstoffe dürften in der Schweiz bald zugelassen werden. Der Moderna-Impfstoff, der in den USA bereits gespritzt wird, basiert ebenfalls auf der mRNA-Technologie und bietet einen gleich guten Schutz wie jener von Biontech. Beim Impfstoff von Astra-Zeneca wird die Immunabwehr über ein modifiziertes Schimpansen-Schnupfenvirus aktiviert. Dieses Vakzin lässt sich leichter lagern als die beiden anderen Stoffe, schützt jedoch nur mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit vor einer Covid-Erkrankung. In Grossbritannien ist es seit Anfang Jahr im Einsatz.

Sonstige Bedenken
Clemens W.
64, Banker, Kanton Zug
Ich bin kein Impfgegner. Was mich aber misstrauisch macht: Warum sollen unter 16-Jährige nicht geimpft werden? In der Vergangenheit wurden Impfungen auch Kindern verabreicht.
Die Entwicklung eines Impfstoffs wird zuerst immer auf Erwachsene ausgerichtet. Dann geht es um die Jugendlichen und zuletzt um die Kinder. So bekommen wir bessere Möglichkeiten, eine Krankheit zu bekämpfen. Bei Covid wäre die Impfung von Kindern – die ja fast nie ernsthaft erkranken – nur dann sinnvoll, wenn man das Virus komplett loswerden wollte. Das ist derzeit aber weder möglich noch das Ziel.
Guido Y.
57, Unternehmer, Kanton Zürich
Ich misstraue der Kühlkette. Ich befürchte, dass der Impfstoff von Pfizer nicht jederzeit mit den nötigen tiefen Temperaturen gekühlt werden kann. Daher lasse ich mich zumindest mit diesem Impfstoff nicht impfen.
Die Kühlkette zum Schutz von mRNA-Impfstoffen, sie ist tatsächlich eine mühsame Angelegenheit. Doch was passiert, wenn dieser Impfstoff sich erwärmt? Die mRNA würde schnell zerstört, und der Impfstoff verlöre seine Wirkung. Er hätte schlicht keine Wirkung mehr: keine positive, aber auch keine negative. Zum Glück dürfte der Impfstoff von Moderna bald verfügbar sein. Diesen kann man einen Monat lang im Kühlschrank aufbewahren.